Ortswechsel

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Meine Grenzerfahrungen beim Grenze-Erfahren „Österreich außenrum, Südroute“ (Juli 2021) bieten nochmals südsteirische Extreme, ehe es ins Bergland geht. Dazu starten wir an der „Herzerlstraße“ im slowenischen Gasthof Dreisiebner (Strecke im Anhang/ Gmischter Absatz).
Meine jugendliche Rad-Kollegin will ich nicht beim Tiefschlaf-Seufzen stören, derweil ich mich schon kurz nach Sonnenaufgang erst aus dem Bett, dann auf Zehenspitzen geräuschlos hinaus auf den Balkon, dort vorbei an Pierre (Rennrad) und schließlich weit über die Blütenpracht im Blumenkistl schiebe.

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Gestärkt mit flaumiger Eierspeis', frischen Vollkornweckerln, saftigem Hausschinken und duftendem Kaffee in beglückender Menge (also viel) sprinte ich frohen Mutes vor unserem gemeinschaftlichen Aufbruch über die Brücke ins österreichische Radkersburg, um dort keine einzige Servicestation mit „richtiger“ Radpumpe zu finden. Fünfzehn Minuten später rolle ich mißgelaunt und grantig zum Treffpunkt, das Team wartet bereits, im Gegensatz zu mir, das ziemlich entspannt. Gleich darauf sind wir auf dem Murtal-Radweg unterwegs, kleinlaut trödle ich hinten nach.

badrad stadtplatz

Kein fröhliches Vogelgezwitscher dringt durch offene Fenster, es ist ein monotones Plätschern. Der Ersteinschätzung „nur ein Schauer“ folgt zwei Stunden später die trockene Feststellung: „Es regnet.“ Und weil wir vom fulminanten Frühstück ebenso wie von den geräumigen Zimmern begeistert sind (siehe Tipp zu B&B/ Penzion Mihalic, Blog-Eintrag „Szombathely – Gornja Radgona“), bleiben wir kurzerhand in Gornja Radgona für einen so genannten Ruhetag.

Was nun nicht zwangsläufig „Beine hoch“ bedeuten muss (siehe so genannt), je nachdem wie man Ruhe interpretiert, inwiefern man überhaupt in der Lage ist, diese zu geben. Immerhin befinde ich mich an einem fremden Ort, wo doch Erkundung und Entdeckung warten, es Vieles zum Versäumen gibt (eine meiner Lebensängste)! Das Team startet Zeit-versetzt in diesen Tag, Pierre (das Rennrad) bleibt in der Garage, ich mache mich auf den Weg. Kaum diffundiert der Regen in den Zustand „hohe Luftfeuchtigkeit“ stapfe ich Richtung Ortszentrum von Gornja Radgona. Ich spaziere abseits der Hauptstraße zur Brücke, wo ich mich ausgiebig der OpenAir-Foto-Ausstellung „Nie wieder Krieg!“ widme (mehr dazu im Anhang „Gemischter Absatz“, Kampf um Sloweniens Unabhängigkeit im Sommer 1991). Das übliche Auf-Distanz-gehen angesichts derartiger Bilder fällt mir schwer, hier am Schauplatz ausgerechnet fast auf den Tag genau im Juli, nur dreißig Jahre später…

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Ich will ans Ufer der Mur und dem tröstlichen Vorbeifließen zuschauen, den Wellen und der steten Bewegung des Flusses. Derweil ich nach einer Stelle zum Runterkraxeln suche, stoße ich mit dem Fuß an ein Stück Rinde. Auf der weichen Unterseite ist ein Herz eingeritzt. Ein breiter Riss teilt es fast zur Gänze, vorsichtig hebe ich das feuchte, nach Moder riechende Stück Holz auf.
Später lasse ich es ins Wasser gleiten. Davor lege ich noch alle guten Wünsche darauf, die ich für jene Menschen aufbringen kann, die mich ent-täuschten (bin ich doch vor allem dankbar dafür, nicht weiterhin ge-täuscht zu sein); heute ist es zu spät, das Ungeklärte, Unausgesprochene zu bedauern, denn die Momente sind vergangen, die Tränen getrocknet und die Erinnerungen verwässert. Das Leben ein steter Fluss. Ich spüre die sanfte Strömung an meiner Hand, das schaukelnde Holz nimmt Fahrt auf, tanzt von mir weg; stumm bitte ich jene um Verzeihung, die ich mit meinem Verhalten verletzt habe… die Mur schluckt meine Tränen, alles fließt… panta rhei. Zaghaft zwängt sich ein Sonnenstrahl vorbei an den bulligen Schultern einer Gewitterwolke und glitzert schaukelnd in der Brechung des Wassers. Der weite Ausblick entlang des Tales lässt mich innehalten, ein fröhliches Auflachen unbeschwerter Lust am Hiersein, meine Gedanken hüpfen elfengleich über den Fluß, ab und an kurz die Zehen eintauchend ins kühle Naß.

badradkbruecke blickmur
Das feuchte Gefühl in meinem rechten Schuh ist – „ach Realität, du bitterer Trunk!“ – ein körperliches: Meine mittlerweile gatschigen Lieblingstreter gleichen nun Riesenhappen beim Schoko-Fondue. Mit einem Steckerl kratze ich den gröbsten Schlamm aus der Profilsohle, wische mit großen Blättern und verteile den Dreck gleichmäßig über den Sohlenrand. Gar nicht witzig finde ich das, aber die Sonne lacht nun wieder verlässlich mit voller Kraft vom sommerlichen Himmel. Kurzerhand platsche ich ins flache Wasser, ziehe den beschuhten Fuß durch's Nass, lass es richtig spritzen. Ein Hauch von kindlich-freudigem Tun verscheucht meinen Grant. „Jetzt wird auch keine Dame mehr aus mir!“ grinse ich in Erinnerung an die Worte meiner Mutter. Dank Hochleistungsfaser und Sonnenkraft trocknet das Schuhwerk rasch, nur kurze Zeit gatsche ich feuchten Fußes wie ein Sumpfmonster durch die Gegend.

RADkersburg

Und als die ausgeschlafene Mannschaft zu mir aufschließt, bin ich schon wieder geräuscharm und mit manierlich sauberem Schuhwerk Richtung Bad Radkersburg unterwegs. Den freundlichen Grenzern zeige ich meinen Impfpass, der junge Soldat schaut nur kurz drauf, grinst mich breit an „ihna kenn' i scho“ und informiert den nebenstehenden Kameraden „de woar gestern scho dou. Auf'm Rennradl!“ (special for Hugo: „We met already!“ young soldier talking to his comrad, followed by „She was there yesterday… on a road bike!!“). Wir wünschen einander einen schönen Tag, ich marschiere in Österreich ein.

badrad puchkarinkuna

Ein prägnantes Sgraffito hat längst meine Aufmerksamkeit gewonnen, ich nähere mich andächtig: Johann Puch, eigentlich Janez Puh, arbeitete hier als 16jähriger (1878) Schlossergeselle (die Inschrift ist also irreführend, denn seine Lehre hatte Puch bereits als Zwölfjähriger begonnen, erst danach kam er dank der „Wanderjahre“ in den Ort). In Graz (er-) heiratete Puch (Wohlstand), legte dort 1889 den Grundstein zur ersten Firmengründung, entwickelte ab 1890 Niederräder, Marke Styria… (mehr zur beeindruckenden Vita: https://austria-forum.org/af/Biographien/Puch%2C_Johann). Der Rest ist dank handwerklichem Erfindergeist gepaart mit harter Arbeit österreichische Industriegeschichte. Puch, der auch als Radrennfahrer reüssierte, starb gerade einmal 52 Jahre alt an einem Herzschlag. Apropos Herz: Ich erinnere die Geburt meiner Rad-ist-Freiheit-Liebe in Form eines dottergelben Puch-Modells, mein erstes „richtiges“ Rad mit 5-Gang-Schaltung, ohne Rücktritt… zum (zwölften?) Geburtstag hatte ich es bekommen, ein vergeblicher Versuch meiner Mutter, mich davon abzuhalten, auch weiterhin mit dem Papa-Rennrad auszubüchsen. In stillem Nachsinnen lächle ich vor mich hin. Auf die Frage, was mich denn so amüsiere, zeige ich hinauf zur Inschrift: „Ich habe das Geheimnis gelüftet, was der Name RAD-kersburg wirklich bedeutet!“

Das Städtchen selbst ist laut Eigenwerbung zumindest touristisch motiviert beim Rad-Hype dabei, konträr dazu bietet es aktiv ein Auto-gerechtes Innenleben und zeigt eher passive Haltung zu Drahteseln (die Service-Station am Hauptplatz bringt ein kleines Plus, obgleich die Pumpe nicht einwandfrei funktionierte). Ungehindert stinken und lärmen Blechkisten durch den Ortskern, SUV-Karren parken im adretten Ambiente, mittendrin der Hauptplatz als Schanigarten.
Ich begebe mich auf Ab-Wege, flüchte in kleine Gassen, erkunde Höfe und finde die Keramik-Werkstatt Friederike Koscher (siehe Anhang "Googln wird überschätzt"), schaue durch Gitter und über Zäune, versuche die Stadt über ihre stillen Ecken zu lesen.
Dieses Radkersburg gefällt mir, es mutet fast schon südländisch an, stellenweise eine Graz-Miniatur.

badrad museumhof

Den Grundstein für diese Reminiszenzen hat der italienische Baumeister gelegt, der im Zuge der Erneuerung von Befestigungsanlagen im 16. Jahrhundert (Stichwort Osmanische Eroberungszüge) in habsburgischem Dienst stand. Schon dreihundert Jahre davor war die mittelalterliche Stadt zur Wehranlage ausgebaut worden – wie mächtig diese Mauern und Türme einst waren, bezeugen Reste der Stadtbefestigung, etwa am Ende der Langgasse das ehemalige Stadttor. Leider brüllt dort ungebremst motorisierter Verkehr im Kreis, was einen ausgiebigeren Spaziergang vergällt.
Die Innenhöfe des Museums im „Alten Zeughaus“ hingegen entpuppen sich als Ruheoase, die einlädt zur Erkundigung in angenehmer Stille. Während ich die Sepia-farbenen Fotos fremder Menschen in fremden Zeiten betrachte, versuche ich deren Welt im Kleinen vor der Schablone historischer Großereignisse zu spiegeln.

badrad hinterhof
Die übertriebene Deutsch-Tümelei im 19. Jahrhundert trieb unablässig ihre Spaltkeile ins österreichische Kaiserreich, bis schließlich im Ersten Weltkrieg die leidige Nation-Volk(?)-Frage grausam Explosion fand. Heimat und Menschen wurden in Stücke gerissen, der Untergang kommender Generationen wuchs aus schwelenden Wunden, in denen egomanische Narzissten bohr(t)en; das kaiserliche Österreich blutete auf der Balkanroute in seinem Größenwahn aus.
Die blühende Stadt Radkersburg aber war Spielball in globaler Politik, rückte durch einen Strich auf der Karte innerhalb weniger Wochen von mitten drin im Kaiserreich an dessen Rand. Die bislang vertraute Nachbarschaft mutierte plötzlich auf der anderen Seite dieser neuen Grenze zum fremden Ausland. Die Schwerkraft des jeweils Anderen wirkte stärker als das Fundament einer gemeinsamen Vergangenheit. Nicht die Kultur eines friedlichen Miteinander siegte, sondern das politische Zündeln. Was es wohl bedeutet, mit ständigem Abwehr- und Verteidigungskampf konfrontiert zu sein, immerfort in Angst, mit und in Grenz-Situation leben zu müssen?

Am Stadtturm entdecken wir eine große Tafel, die detailliert Auskunft gibt über eine jüdische Familie, die von den Nationalsozialisten aus Bad Radkersburg vertrieben worden war (ich überlege, ob ich derartige Informationshinweise auch aus meiner Heimatstadt kenne… ich erinnere nur, den Hinweis auf einem Zeitdokument: „Krems, die erste Juden-freie Stadt in der Ostmark“). Der Eiskaffee am Hauptplatz schmeckt, später schlendern wir wieder auf die „andere Seite“ und verharren kurz an der Stiege zur Burg-Anlage. Rasch steht fest, dass die Besichtigung ausfällt, stattdessen bündeln wir unsere Ruhetag-Kondition zugunsten einer Entdeckungsreise zum lokalen Wein bei herzhafter Jause; mehr dazu im Anhang, zum Lokal-Tipp "Sitzfleisch".


In eigener Sache

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Gemischter Absatz

@ der-Weg-ist-das-Ziel: Ruhetag in Gornja Radgona, Rundgang in Bad Radkersburg
(je nachdem… 5-8 km)

@ Treffpunkt „bei der Kirche“: Sitzfleisch
Einfach so findet man die zweimal ums Eck versteckte „Pizzeria Potač“ nicht (Trg Svobode 18, Gornja Radgona) – wir entdeckten sie nur dank Tipp der netten Kellnerin in der Eisdiele „Nabucco“ (Partizanska cesta 27). Grundsolide und gute Pizza, kleiner Gastgarten abseits von Straßenlärm, sehr freundliche Bedienung, entspannte Atmosphäre insgesamt. Genauso wichtig: Einfach, aber gut die Qualität des Merlot (Hauswein)!

@ googln wird überschätzt: Offline-N/nutzen
„Keramik im Zentrum“ (Mo-Sa 10-12h, Do-Sa 15-20h) ist im Hof an der Adresse Hauptplatz 2 in Bad Radkersburg zu finden. Friederike Koscher fertigt hier ungewöhnlich schöne Brotdosen (mit polierten Holzdeckeln, ergo integriertem Schneidbrett), sämtliche sind Einzelstücke (Sonderanfertigungen auf Anfrage), Unikate auch alle kunsthandwerklichen Objekte, wie elegante (Doppelwand-)Schalen, praktische Schüsseln, reizende Figurinen… Eine Website ist aktuell in Arbeit, Anfragen/ Bestellungen per mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

@ fakultativ zu Hausverstand: Tipp
Ruhetag ist für mich ab sofort Rad-Service-Tag, frei nach „lesson learnt“: Eine Standpumpe an der öffentlich zugängigen Service-Station besser gleich auf Ventil-Kompatibilität checken (ehe man sich auf „morgen auch noch Zeit“ verlässt!). Es schadet nicht, beim einzigen Rad-Service-Shop vor Ort, im gefühlten Radius von Südungarn-Nordslowenien-Oststeiermark die Öffnungszeiten im Auge zu behalten. Denn trotz Hauptsaison (potentiell viele Radmenschen in der Region…!) und Ferienzeit (…potentiell auch einige Radsportler:innen, die in der Kühle des Morgens starten wollen!) gehen die Rollläden erst um 10h auf. Und das einzige Sport-Fachgeschäft weit und breit bietet – warum auch?! – keine Luftpumpe.
Conclusio: Wer Radregion auf Tourismusplakate schreibt, muss auch für Infrastruktur sorgen!

@ aMäuvoi Subjektives: Empirie er-fahren…
„Nie wieder Krieg!“ lese ich auf simplen Plakat-Ständern entlang der Brücke. Auf deren Geländer zeigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen Szenen aus den Anfängen des Balkankrieges, der 1991 mit der Loslösung Sloweniens (26. Juni) aus dem jugoslawischen Staatenbund und dem folgenden 10-Tage-Kampf begann. Fast auf den Tag genau ist das nun dreißig Jahre her. Ich starre auf die Bilder, sehe Zerstörung, zerschossene Dächer, Granat-Einschlag in ein Haus, es gab Tote… und Krieg! Nur wenige Meter vor dem österreichischen Grenzübergang ein Kriegsschauplatz… surreal?
Plötzlich erinnere ich mich an Nachrichten, daran, dass auch zwei Österreichischer am Flughafen in Laibach/ Ljubljana bei einem Luftangriff getötet wurden (meine spätere Recherche ergab, dass es der Journalist und Schauspieler Nik Vogel war, der am 28.6.1991 starb). Ich wandere von Foto zu Foto, sehe zerschossene Fahrzeuge, verletzte Menschen, einen quer-stehenden Panzer auf der österreichischen Seite der Brücke. Mir fallen Berichte ein über Grenzverletzungen, angeblich wäre damals auch das Österreichische Bundesheer in Radkersburg in Stellung gegangen, zumindest mit einem Haufen junger Rekruten, angeblich noch alle in der Grundausbildung. Die altvorderen Uniformträger hätten vor möglicherweise realem Feindkontakt Reißaus genommen (wie mir später ein Insider erzählt, verifizierte Faktenlage?).
Welcher Feind eigentlich? Jene Truppe, die sich eines österreichischen Grenzeckerls bemächtigt, wurscht ob in jugoslawischer oder Slowenien-Farbe? Im Helden-Gedenken werden Verluste ebenfalls kartiert, geordnet nach „unsere Toten“, anstatt ohne Pathos den Wahnsinn barbarischen Verhaltens zu benennen: Familien verloren Angehörige, Eltern ihre Kinder, Kinder ihre Väter… in den wenigen Tagen bis zum Wirken des Waffenstillstands (4.7.) und dem endgültigen Kriegsende am 6. Juli 1991 starben in den 72 Kampfhandlungen laut offizieller Zahlen mindestens 75 Menschen (Jugoslawien, Slowenien, international), rund 330 wurden verwundet – die Dunkelziffern sollen in etwa das Doppelte betragen. Seither sind dreißig Jahre vergangen, ein Krieg mitten „unter uns“, beim Nachbarn am Balkan, der Balkankrieg, ausgelöst durch polemisch-extravertierten Nationalismus, subkutan weitergetragen in Fortschritt-resistenten Religionen, die sich gerne als Tradition und Kultur verkleiden.
Tausende Geflüchtete fanden in den Jahren danach eine neue Heimat in Österreich, viele davon stimmen heute für jene Politik, die sie selbst und ihre Familien am meisten ausgrenzt. Othering nennen Kulturwissenschaften dieses Phänomen, als Parteiprogramm ist es längst in der Mitte der „Werte-Gesellschaft“ angekommen, als polemische Hetze im Kleinformat und unreflektiertem Geifer an der digitalen Bassena. Inhaltslose Worthülsen transportieren Unmenschlichkeit in einer Sprache, die noch vor wenigen Jahren als NaziSprech gegolten hat, heute gezielt Keile in die Gesellschaft getrieben werden.
„Nie wieder Krieg!“ ist eine Forderung zumindest im Sprechakt, dem ich lieber „Leben in Frieden“ gegenüber stelle oder internationaler „give peace a chance!“. Die Abwesenheit von Krieg ist lange noch nicht Frieden, solange die Kampf-Rhetorik jede friedliche Sprache niedermacht. Wir sprechen, wie wir denken; und das Denken bestimmt unsere Sprache, wie wir mit und über andere reden. Faktenbasierte Argumentation wird von geifernder Hetze niedergetrampelt, Polit-Auftritte werden nach ihrer Wirkung analysiert, nach der besseren Performance. Scham gilt als exotisches Relikt, wenn polemische Brandstifter die Finger im Spiel haben: Der Verrohung der Sprache ist ein rasanter Prozess, in dem eine grassierende Verrohung der Bevölkerung das Ergebnis ist.

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In Österreich galt vor Jahren noch „der Flüchtling per se“ als vulnerabel und hilfsbedürftig, als Mensch, der um sein Leben rennt und Schutz sucht vor Krieg, Tod, Zerstörung, Hoffnungslosigkeit. Das Leid Schutzsuchender wird heute mit Häme und rücksichtsloser Kälte kommentiert, Respekt und Menschenwürde bleiben ausgespart. Jene, die noch nie einen Finger krumm gemacht haben, um anderen zu helfen, schmücken sich mit den Leistungen jener, die sie als Gutmenschen lächerlich machen. Und plötzlich ist es „unser Österreich“, das im Zuge der „Flüchtlingswelle“ so viel getan haben will… schauen wir in alle Ecken dieses Landes, werden wir unzählige Regionen und Gemeinden finden, die nur unter ihresgleichen den Nächsten lieben. Und eifrig dafür sorgen, dass in keinem der leerstehenden Häuser auch nur ein einziger schutzsuchender Mensch wohnt, geschweige denn im Asylverfahren betreuend unterstützt wird. Genug gäbe es in unserer Gesellschaft für die Not so vieler; nur für die Gier der Satten ist alles zu wenig.

In eigener Sache

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Der Wäscheständer ist gepflückt, ein ungläubiger Blick vom Balkon hinunter zur verschlossenen Tür der Bäckerei… den Gedanken an „coffee to go“ muss ich gehen lassen, seufzend verstaue ich meine Utensilien auf dem Rad. Koffein-frei und mit nüchternem Magen verlasse ich Szombathely, in der Annahme, dass es schon sehr bald irgendwo entlang der Strecke eine Möglichkeit zur Frühstückspause geben wird. Die Neo-Wienerin in mir mit 7-Tage-die-Woche-geöffneten Multi-Ethno-Shops im näheren Wohnumfeld daheim ist davon tief überzeugt. Vergessen oder einfach nur erfolgreich verdrängt, habe ich wohl den früheren Titel meiner Biographie: „Provinz ist, wo ich bin“.