Stell dir vor, es kommt der Frühling und die Erkenntnis reift: "No one is an island, entire of itself…". Den Mut für Neuanfang stärken, das Alte los lassen, sich gesund essen und nähren – ich persönlich halte die grassierende Fasten-müssen-Bewegung ohnehin für überbewertet. Nicht weniger als „192 Kochanleitungen bei Liebeskummer“ (so der Untertitel) hat Herausgeberin Inge Fasan gesammelt. Garniert sind diese mit würzig-anregenden Geschichten, passend zum jeweiligen Kapitel der NeoSingle-Trauerarbeit:


Der Erste-Hilfe-Phase mit „Trösten“/ Eveline List, „Bluten“/ Amaryllis Sommerer, „Verarbeiten“/ Wolfgang Herles folgen Stabilisator-Schleifen mit „Dürsten“/ Martina Winkel, „Bersten“/ Inge Fasan, „Füllen“/ Gerd Wolfgang Sievers, abgerundet von Heilungszyklen „Versorgen“/ Margot Fischer, „Nähren“/ Katrin Sippel und „Einverleiben“/ Evelyne Puchegger-Ebner. Wer tatsächlich kochen und nicht nur lesen will, findet praktischerweise ein Rezeptverzeichnis im Anhang, um den Überblick selbst im Akut-Gusto zu behalten – von Acachapolli (Heuschrecken) oder Apfelauflauf bis Ziegeneintopf oder Zirbenschnaps.
Das Österreichisch-Deutsch-Glossar erweist sich auch Traditionsküche-Unkundigen als hilfreich; nicht nur Menschen aus dem befreundeten Ausland finden in diesem Abschnitt Erklärungen. Es dient vor allem jenen, die sich dank Privatfernsehen und Berlin-Synchron-Film längst hierzulande angewöhnt haben, ihre Mahlzeit nicht einfach mit „schmeckt gut“ zu kommentieren, sondern lieber das nervige Piefke-„lecker“ anmerken. Und mit „Sprung in der Schüssel“ wird in der Übersetzungshilfe dann auch das aus dem Beleidigungsjargon stammende, fast schon zärtliche „Huscher“ erklärt… nicht zwangsläufig Küchensprache, aber doch irgendwie sympathisch.

So wie alle Mandelbaum Verlagsbücher liebevoll im Detail ausgeführt sind, gefällt auch dieses Koch-Lesebuch auf den ersten Blick und allein schon als Objekt per se im "geschlossenen Zustand". Nicht allein um die kraftvollen Illustrationen (Linda Wolfsgruber) zu entdecken ist das Aufschlagen, Lesen, Kochen… einfach Arbeiten mit dem ungewöhnlichen Kompendium eine Herzensempfehlung.
Beim Durchleiden des „prekären Zustands“ Liebeskummer hat die Selbstfürsorge oftmals Pause… ein erster Schritt sollte sein, das Kochen für sich selbst, sprich für sich allein zu pflegen – immerhin finden die Wenigsten im Zuviel an Arbeiten oder Trinken nachhaltig Trost, so schlicht langfristig betrachtet. Letzteren fand Ingrid Fasan dann auch, laut Selbstbekenntnis, in der „emotionalen Krücke“ dieses Übergangsprojekts, das dankenswerter Weise kein Gedichtband geworden ist. Die frei gewordene Energie investierte sie ins Zusammentragen. Entstanden ist eine wunderbare Melange aus Wissenswertem rund um‘s Essen, launig erzählten, teils biographisch gefärbten Kommentaren und bewährten, mitunter sehr exotisch-fremden Rezepten.
Vor allem empfiehlt sich die Lektüre dieses Buches auch, wenn liebe Menschen um einen herum erste Genervt-Symptome zeigen, wenn nur der Name des/ der Verflossenen fällt, man selbst aber noch lange nicht bereit (oder fähig) ist zum Loslassen, gerade nicht im Gespräch. Die Geschichten im Buch trösten die Seele, das Selbstgekochte auch noch den seltsam abgekoppelten Körper.

Zu lesen ist, warum Brombeeren (Symbole für Liebe und Liebesschmerz) nicht nur hervorragend zu breiig Süßem oder in einen Cocktail passen und dass Sellerie als schmerzstillend gilt. Apropos – warum nicht einfach Herz essen? Wir erfahren, dass dieses mehr ist, als ein fragiles Organ, das tendenziell auch bricht. Ein tierisches Herz wird gespickt (Kalb), sauer gegessen (Schwein) oder aufgespießt (Rind), weniger blutig fallen jene aus (Lebkuchen-)Teig oder Schokolade aus (Tipp: Flüssig!). Wem das ohnehin Blunzn ist, der freut sich über das Blutwurst-Rezept (ich empfehle in jedem Fall keinen Naturdarm sondern entweder künstliche Wursthaut zu verwenden oder kleine Rex-Gläser/ Wasserbad im Backrohr). „Back to the roots“ sind die weiteren Zubereitungsarten diverser Innereien, abgesehen von „Leber mit Limette“ (higado con lomón) oder dem wortmalerischen „Kutschmadschi“ (Georgischer Innereien-Eintopf). Eher theoretisch interessant in meiner Genusswelt sehe ich die Anleitungen für gedünstetes Gürteltier (armadillo frito), wahlweise Leguan (iguana en su caldo).

Für schlichte Reinschaufel-Gelüste liebe ich matschiges Trost-Essen (Stichwort „comfort food“) – Erdäpfel-Püree (nicht an Butter und Muskatnuss sparen!) etwa zu Faschiertem Braten, Erdäpfelsalat und Käsknöpfle tun auch gut. Im Selbstversuch haben sich Tiramisu und alles aus Schokolade (Eis, Mousse au Chocolat, Death by chocolate…) bewährt, beides mit der jeweils Extra-Portion feinstem Schlagobers, rate ich auch für die im Buch beschriebene Eierlikör-Kur, die sich wahlweise mit Mascarpone „variieren“ lässt. Übrigens auch eine gute Unterlage dafür, wenn man einem weiteren Tipp im Buch folgen will:
Trinken im W-Quadrat, zu den drei empfohlenen W-Getränken Wasser, Wodka, Whiskey ergänze ich gelegentlich und ebenfalls in Maßen wirklich guten Wein. Trotz der interessanten Cocktail-Varianten (Stichwort „Cut“ Rübensaft, Wodka etc.), die zur Selbstmischung verführen, halte ich mich unbedingt an den Tipp „Auswärts-Trinken beim Wirtn des Vertrauens“ (Margot Fischer über den „Tresen als Couch“, Seite 160 ff.).
Was daheim und alleine aber immer geht, ist der Genuss von Kaffee in rauen Mengen und das Ausschwemmen aller Flüssigkeiten in Form von Tränen: „Sie schwemmen die Giftstoffe aus und klären nicht nur die Augen,“ schreibt Martina Winkler (auf Seite 87) und liefert ein Tränen-Rezept auf Seite 91, das sehr speziell und zumindest – so meine Vermutung – augenzwinkernd gemeint ist.
Sehr vertraut hingegen ist mir der Abschnitt Suppen-Medizin (zur Hühnersuppe gebe ich gerne ein Stückerl Ingwer, auch einen Paradeiser sowie eine kleine Zwiebel samt Schale – Letzteres schon wegen der Farbe), ergänzt mit diversen Eintopf- und Nudel-Gerichten.

„Und es geht darum, auf dem Weg zu diesem Ziel die eigene Person in den Mittelpunkt zu stellen und sein Selbstwertgefühl zu erhöhen, neue Souveränität zu gewinnen. Im günstigsten Fall lässt sich dann der Liebeskummer – bzw. was dazu geführt hat – letztlich als eine Art Befreiung verstehen.“ (Wolfgang Herles, Seite 71). Letztlich und langfristig sollte doch vor allem der Vorteil im Mittelpunkt stehen, die neue Freiheit auch genießen zu wollen und zu können, wohlgenährt, voll wieder erlangter Kraft durch nährendes Essen. Wie gesagt: Kraftvoll in den neuen Frühling, vollgetankt mit neuer Liebe für sich selbst.

Fasan, Inge (Herausgeberin): Eat Hate Love – 192 Kochanleitungen bei Liebeskummer (234 Seiten, Halbleinen) | Mandelbaum Verlag, Wien 2013 | € 24,90.-