Eines meiner sieben Großkatzen-Leben gehört seit drei Jahren der Plattform Braintrain, meiner ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe mit Focus auf Aus- und Weiterbildung. Zu letzterem zähle ich auch meine leidenschaftlich vorgetragenen Brandreden zum Thema „unsere (sic!) christlichen Werte“. Schließlich gilt es doch auch dem Integrationsauftrag nachzukommen, den das gleichnamige Schwarz-Türkis-Ministerium in 08/15-Werte-Kursen zu erfüllen gedenkt.

„Oida-Gegenveranstaltungen“

Ich organisiere lieber zeitgemäße „Oida-Gegenveranstaltungen", die ich deshalb so getauft habe: Mit meinen Afghani-Buben die bereits so gut Deutsch sprechen, dass sie nicht nur Inhalt meiner Kampfansagen verstehen, sondern auch den dazugehörigen Unterton bei manch Gesagtem richtig zuordnen können, kommentieren spezielle, also eigentlich viele meiner Formulierungen mittlerweile bevorzugt mit einem ungläubig-seufzendem „Oida“. Insbesondere wenn ich über gemeinhin „christliche Werte“ referiere, sie in Relation setze zu Frauenrechten und rechten Frauen. Besonders auch, wenn ich die Zielgruppe der selbst ernannten, aufrechten Frauen-Versteher in der österreichischen Politiklandschaft als Werte-Kämpfer diskutiere, also über jene herziehe, die sich anmaßen „unsere Frauen“ im Sinne von Eigentumsrecht verteidigen zu wollen.

Dann rede ich mit jenen – aus vermeintlich rückständigen Weltgegenden stammenden – jungen Männern gerne über die Parallelen zwischen „unserer Kultur“ und „ihrer Kultur“. So erwähne ich auch, dass dort, wo ich herkomme, spezielle Einstellungen zum Leben und der Lebensführung sehr resistent sind, also Generationen überdauern in verstaubtem Denken. So etwa existiert in manchen Kreisen immer noch der Glaube, dass Frauen ihr Existenzberechtigung via Leben an der Seite eines Mannes definieren: Mädchen werden als „Tochter von xy“ geboren, um nach standesgemäßer Übergabe als die „Gattin von zb“ zu (ver)enden. „Also wie bei uns in Afghanistan?!“ sagt einer dieser aus anderer Kultur Geflüchteten. Ich nicke und fahre fort mit launigen Vergleichen, basierend auf meinem Migrationshintergrund Waldviertel.

Und verschone uns mit Geboten.

In diesem Besitzanspruch-Selbstverständnis ist wohl der gesellschaftliche Umgang mit Mehrfrauen-Beziehungen begründet, die hier im christlichen Abendland wie dort im muslimischen Ohne-morgen-Land toleriert werden. Freilich nur solange es allein der Gatte ist, der körperliches Multitasking lebt. Dass diese ausgelebten Sympathien Kosten verschiedener Art zur Bedingung sowie Folge haben, weiß man nicht nur in Kabul. Da wie dort konzentriert sich doch letzten Endes die Zahl möglicher Nebenfrauen auf die Verfügbarkeit von Geldleistungen, deretwegen muslimische Gattinnen mitunter auch relativ direkt zu Tode gebracht werden. Fern vom Hindukusch arrangiert man(n) sich zivilisierter, sucht erste Lösungsansätze des Vertrauensbruchs im Schön-Lügen oder Schweigegelübde, wenn etwa psychosomatisch bedingte (Sucht-)Erkrankungen zu langsam verlaufen und der Status „verwitwet“ in nicht abschätzbarer Ferne liegt. Mittels Freikauf wird gerne das freie-Zeit-Konto entlastet, man(n) investiert in Haltung und Präsentation der Gattin je nach Einkommensklasse: Sonderposten an Parndorfer Business-Chic, Kürzest-Urlaub oder ein neues Cabrio…
„Nein, das ist dann nicht gemeint, wenn von christlichen Werten geredet wird… ah so, Frauen kosten bei euch auch Geld…,“ stelle ich mit spitzem Ton und hochgezogener Augenbraue fest. Während das breite Grinsen aus dem Bubengesicht verschwindet, setze ich ein freundliches Lächeln auf: „Dafür sind aber in eurer Kultur Vielweiberei-Konstruktionen offiziell erlaubt, oder? Ach so, sie werden faktisch kaum gelebt! Bei uns ist es genau umgekehrt!“ sage ich den staunend Lauschenden und erkläre, dass in diesem Kulturland „hintaus-erweiterte“ Ehe-Gebäude häufig Fakt sind, hingegen nicht offiziell gelebt werden. Und noch weniger öffentlich diskutiert, solange der Sidestep ein männlicher ist.

Wenn zwei das Gleiche tun

Gleich darauf verlässt eine Kollegin ihren bisher schweigenden Posten, rümpft die Nase und erhebt Einspruch mit einem zarten „na geh… so eine Übertreibung… bei uns gehen wenigstens Frauen genauso fremd.“ Ich gebe ihre Recht und pariere mit einem knappen „ist deshalb nicht weniger verlogen!“, halte aber auch dagegen, dass das gleiche Verhalten nicht mit demselben Maß gemessen wird. Denn ihr Betrug wiegt in gesellschaftlicher Gewichtung immer noch schwerer als sein lapidar kommentiertes „Hörndl abstoßen“.
Meine wesentlich jüngere Bekannte meint nun zu wissen, dass das heutzutage doch längst nicht mehr der Fall sei, ich vielleicht nur sehr kleinräumig Erfahrungen vor dreißig Jahren gesammelt hätte. „Woher nimmst du deine Gewissheit? Wie kannst du solche Sachen denn überhaupt behaupten?“ fragt sie mich ein wenig schnaubend.

Zur Untermauerung meiner These biete ich ihr eine Gedankenreise an, entlang eines Schwankes aus meinem Leben, schildere ich aus heimatlicher Männerwelt (nicht zu vergessen mein Hinweis, dass etwaige Parallelen mit lebenden Personen selbstverständlich rein zufällig sind) – tausche aber die Geschlechter und besetze die Hauptrolle weiblich:
Man stelle sich also vor, dass eine – nennen wir sie – sehr joviale Frau mit Spezialkontakten zu archaisch-bauerngebündelten Netzwerken binnen kürzester Zeit zur hochrangigen Politikerin aufsteigt. Ungeachtet dieser Karrieresprünge und der damit einhergehenden Verantwortung sammelt sie über Jahre hindurch quer durch's Land Samenspenden zur Dokumentation ihrer strotzenden Frauenkraft und nutzt diese ungeniert zum Zwecke außerehelicher Vermehrung… kein Aufschrei peitscht durch den Boulevard, ihre Macht innerhalb der eigenen Reihen bleibt trotz allem einzementiert, wie der Rückhalt im Volke; auch die Unterstützung von Sponsoren und Geldgebern ist eine gewisse… immerhin kommt sie doch eh zu medial inszenierten Feier-Anlässen in Begleitung ihres offiziellen Ehe-Gespons (dieser ist nicht nur ein Meister des Kampf-lächelns, sondern auch verlässlicher Hausmann, der auf eigenen Beruf verzichtet und sich während der Langzeitkarriere der Gattin um Aufzucht und Hege der gemeinsamen, also offiziell anerkannten Kinderschar kümmert).
Weiters stelle man sich vor, dass die Pressesprecherin dieser offenkundig narzisstisch-getriebenen Politikerin im hochreifen Alter am Rande einer Veranstaltung zu einem sehr jungen Mitarbeiter geschickt wird: „Die Frau Mächtig ist der Meinung, dass so ein hübsches Männlein eigentlich neben ihr sitzen sollte…“.
Die Politikerin hat doch einen Ruf zu verteidigen, denn dieses Jagdverhalten spricht sich nicht nur über Jahre hinweg herum, es vermehrt in speziell sexistischen Frauenbünden außerdem noch ihr Ansehen als eben richtige Frau. Sie findet Nachahmerinnen in den Politniederungen des Landes, unverhohlen ist die Bewunderung für ihre hemdsärmelige Macherin-Qualität, ihre Rücksichtslosigkeit hinsichtlich Wunscherfüllung von Geldgebern ist in einschlägigen Frauen-Lobbying-Zirkeln die Schenkelklopfer-Erzählung Nummer eins… und bestimmt die Gespräche nicht nur bei einem guten Achterl, um die tragenden Seilschaften abzusichern.
Niemand nennt das Gewusste beim Namen, die Verlogenheiten werden nicht ausgesprochen und auf keinen Fall wird es jemand ansprechen… zum Beispiel auch nicht jene Anekdoten, dass viele junge Männlein mit der Zeit berechtigte Angst davor haben, im gleichen Büro-Aufzug mitzufahren, wenn diese Politikerin schon im Lift drinnen ist…

Die Kollegin schaut mich mit weit aufgerissenen Augen an, schluckt, nickt. Ich fahre fort mit meinem Gedankenexperiment zu „Frau in der Politik“, füge Mutmaßungen über nachhaltige Karriere-Basis hinzu:
„Nun mag ich mich ja täuschen, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wäre nicht nur die Amtszeit einer solchen Politikerin rasch vorbei, sie bekäme nicht einmal in einem Kreisverkehr ein Denkmal gesetzt, noch könnte sie buchstäblich stiften gehen. Auch die beteiligten Nutznießer-Familien der gefallenen Männlein bekämen keine Ämter, dürften keine Wirtschaftsparks bauen, würden kaum mit Langzeit-Aufträgen oder Projekt-Abwicklungen betraut.“ Ich hole tief Luft und setze zum grande finale an: „Welche Langzeit-Karriere in Ehe und Politik wäre einer solchen Frau mit einem derart gelebten Verständnis von traditionellen Werten beschieden? Sie hätte wohl – um die Antwort mit einem christlich-konnotierten Vergleich bildhaft zu geben – die Chance wie ein Schneeball in der Hölle!“

Habe die Ehre!

Ein weiteres „Oida…“ in Kombination mit Kopfschütteln seitens der Nicht-unsere-Kultur-Buben und einem scheuen Lächeln im Gesicht der Kollegin unterbricht meinen Monolog. Ungerührt setze ich fort:
„Aber das Denken in ländlich geprägter Sippenhaftung, das Niederhalten des dichten Filzes post-austrofaschistischer Heimatgeschichte – frei nach 'lieber tot als rot' – sichert hierorts Job und Karriere. Diese Tradition der Vorherrschaft immer gleicher Familien wurzelt in verbrämter Katholen-Hirnwäsche, in einer männlich dominierten Wüstenreligion. Das kommt euch vielleicht auch bekannt vor?“ richte ich meine Frage nun an die Buben und ziehe dazu provokant die Parallelen zwischen muslimischem Hindukusch und christlichem Wagram: „Beide Religionen sind monotheistisch, also ranken ihre Geschichten um einen männlich-patriarchalen Gott, die weibliche Hälfte der Gesellschaft hat auf den billigen Plätzen zu bleiben, derweil alte Männer in Frauengewändern ihnen vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben, damit die Ehre der Familie nicht beschädigt wird. 'Mach mir keine Schande… was sollen da die Nachbarn sagen?' bestimmt hierzulande die frühe Mädchenerziehung. Warum wohl nicht die der Buben? Katholisch-fundierte Handlungsvorschläge gehen zurück auf weltfremde Überlieferungen aus der Bronzezeit (vgl. Gunkl!), niedergeschrieben von Männern, Übersetzungen kontrolliert von Männern. Das Gleiche gilt für muslimische Grundsätze. Sie sind ja viel jünger, weil die erst im Mittelalter formuliert wurden, deshalb versprühen sie aber nicht mehr Zeitgeist. Stellt euch nur vor, ihr würdet in anderen Lebensbereichen Ratschläge aus längst vergangener Zeit erhalten… zum Beispiel, dass du an einer Blinddarmentzündung eben stirbst, weil es der Wille eine weißbärtigen, alten Mannes ist? Klingt nicht logisch? Ist es auch nicht, wenn Glaube mehr Bedeutung hat als Wissen!“
Die Anwesenden meiden meinen Blick, schauen auf den Boden, derweil ich darauf hinweise, dass trotz allem jeder und jede glauben dürfen muss, was der jeweiligen Person wichtig ist, weil wir eben in einer Demokratie leben. Diese basiert auf dem Wissen, das in gültigen Gesetzen formuliert ist, die für alle Bürgerinnen und Bürger verbindlich sind, fußend auf den Internationalen Menschenrechten – und nicht auf vielfach interpretierten Geschichten aus der Frühzeit von Männergesellschaften. Meine studierenden Buben vom Hindukusch und aus der Wüste Persiens sind baff, es fällt ein durch-und-durch österreichischer Kommentar in korrekter Dialektanwendung: „Na, bist du deppert…!“. Alle lachen. Ich verstehe, dass das Thema nicht zum letzten Mal auf dem Tapet sein wird.


Und dann besinnen wir uns darauf, was an Österreich anders ist, was dieses Leben hier so besonders macht. Wir einigen uns auf den unschätzbaren Wert demokratisch organisierten Lebens, das wir als wichtig erkennen, das es zu verteidigen gilt. Denn solange wir dieses Leben frei gestalten können, leben wir auch in Freiheit – wir, Männer und Frauen gleichermaßen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, das ist der Riesenunterschied zu ihrem Land: Hier kann ich als Frau meine Meinung offen sagen, meine Kritik formulieren und meine Frauen- und Menschenrechte einfordern. „Zumindest derweil noch riskiere ich keine Lebend-Feuerbestattung!“ setze ich nachdenklich hinzu und ergänze: "Für eine auf-gleicher-Augenhöhe-Gesellschaft brauchen wir zur Zukunftsbewältigung emanzipierte Männer. Nur gemeinsam kommen wir weiter. Nur weil du ein Schwanzerl hast, bist du nicht wichtiger als ich; und ich, weil ich einen Busen hab, bin nicht automatisch schwach und schutzbedürftig um jeden Preis. Wir müssen miteinander reden lernen, andere Meinungen akzeptieren, respektvoll streiten können über alle Unterschiede hinweg! Und in jedem Fall zusammenarbeiten, wenn was weitergehen soll in diesem Land. Geht’s den Frauen gut, geht’s den Männern gut! Wir sind alle Menschen, die einander brauchen.“


Samir schaut auf meine geballte Faust und grinst mich an, während er an seiner bevorzugten Position als „Lieblingssohn“ arbeitet: „Na gut, Karin! Dann bin ich ab heute Feminist, wenn das hilft!“ Ich klopfe ihm auf die Schulter und lache: „Mit dem Sager hast du am flachen Land eine Chance wie der Schneeball in der Hölle.“